Service-Wohnen Reutershagen

Wohnzufriedenheit im Rostocker Stadtteil Reutershagen und die Nachfrage nach Service-Wohnen

Projektleiter

  • Dr. Johann Gerdes
    Universität Rostock - Institut für Soziologie
    August-Bebel-Str. 28
    18055 Rostock
    Tel.: +49 (0) 381 498 - 4363 (Sekretariat)
    Fax: +49 (0) 381 498 - 4364 (Sekretariat)

Kooperationspartner

  • Büro für Strukturforschung Rostock (BÜSTRO gGmbH)
    Dehmel Str. 28
    18055 Rostock
    Tel.: +49 (0) 381 49 000 39

Projektbearbeiterin

  • Dipl. Phil. Bärbel Minx, Universität Rostock

Thema

  • Auftragsstudie einer Rostocker Genossenschaft zur Wohnbefindlichkeit ihrer Mieter im Rostocker Stadtteil Reutershagen sowie zum Umfang und zur Qualität der Nachfrage nach Service-Wohnen (Wohnen im Alter)

Kennwort

  • Wohnbefindlichkeit, Service-Wohnen Fachgebiet und Ausrichtung Soziologie, Stadtsoziologie, empirische Sozialforschung

Voraussichtliche Gesamtdauer

  • Abgeschlossen: 01.10.1998 - 15.04.1999  

Finanzierung / Auftraggeber

  • Rostocker Wohnungsgenossenschaft

Service

Der Stadtbereich Reutershagen teilt sich in fünf Bauabschnitte und ist insgesamt ein Mischgebiet aus Eigenheimbauten, monolithischen Geschoßbauen und Plattenbauten. Die Kerngebiete Reutershagen l und Reutershagen ll entstanden in der Zeit von 1953 bis 1962 als erste komplexe Neubaugebiete nach dem Kriege. In Reutershagen l sind die Häuser in der damals typischen sog. "Stalin-Bauweise" errichtet, d.h. es handelt sich um repräsentative, vier- und fünfgeschossige monolithische Geschoßbauten mit relativ großzügigen Wohnungen und klassizistischen Gestaltungsformen. Es wurden ca. 1.800 Wohnungen vor allem für Schiffbauer, Seeleute und Marineangehörige erbaut. Das Ensemble wurde ergänzt durch breite Straßen, Geschäfte im Erdgeschoß und begrünte Innenhöfe sowie eine Alleebegrünung. Gegen Ende der 50er Jahre wurden als Reutershagen II drei neue Wohnkomplexe geplant inclusive verschiedener Infrastruktureinrichtungen. In offener Bauweise entstanden viergeschossige Wohnblöcke mit 2- und 3-Raum-Wohnungen, Ofenheizung und Steildach. Zwischen den Blöcken wurden Grünflächen angelegt. Mit Fertigstellung des ersten Wohnkomplexes endete die Epoche des Wohnungsbaus in traditioneller Bauweise in Rostock. Der zweite und dritte Bauabschnitt wurde dann, wie alle weiteren Großsiedlungen in Rostock, in Großplattenbauweise errichtet, wobei in Reutershagen ll mit verschiedenen Varianten experimentiert wurde. 1960 bis 1962 entstanden neben den viergeschossigen Gebäuden auch ein siebengeschossiges Ledigenwohnheim und drei zehnstöckige Punkthochhäuser. 

Reutershagen verfügt über relativ viele Grünflächen zwischen den Gebäuden und ein damit inzwischen im wahrsten Sinne des Wortes "gewachsenes" Wohnumfeld. Der Stadtteil gehört wegen seines grünen Umfeldes und wegen seiner relativen Nähe zur Stadtmitte heute zu den bevorzugtesten Wohnstandorten in der Stadt. Gegenwärtig entsteht am Reutershäger Markt eine großflächige Zentrumsbebauung mit der heute überall üblichen Mischung aus Ladenpassagen, Büroraum und neuen Wohnungen. 

Die Mieterschaft der WG in Reutershagen wird durch die "Aufbaugeneration" der 50er und 60er Jahre geprägt. Mehr als die Hälfte der Bewohner in den Häusern der WG ist bereits zwischen 1958 und 1963 in den Stadtteil bzw. die jetzige Wohnung gezogen. Entsprechend hoch ist heute der Anteil der über 60jährigen unter den Mietern. Es dominiert besonders die Altersgruppe der 60- bis 70jährigen und jeder achte Mieter ist älter als 70 Jahre. Entsprechend des hohen Altersdurchschnitts sind Kinder gegenüber dem städtischen Durchschnitt in der Mieterschaft stark unterrepräsentiert. 

Aus der Altersstruktur ergibt sich ebenfalls, daß Zweipersonenhaushalte, gefolgt von Einpersonenhaushalten, die dominierende Haushaltsgröße sind. Hinsichtlich der Familienform dominieren damit Paar-Haushalte aus älteren Ehepaaren sowie Haushalte meist älterer Alleinstehender. Nur weniger als jeder fünfte Haushalt beherbergt Familien mit Kindern. 

Indem faktisch eine Generation das Bild der Mieterschaft bestimmt, ergibt sich gleichfalls eine Konzentration von bestimmten Lebenslagen. Die Mehrzahl ist bereits aus dem Erwerbsleben ausgeschieden bzw. steht kurz vor einem Ausscheiden. Die Haupteinkommensquelle der meisten ist die Rente. Da i.d.R. auch die Frauen auf eine lebenslange Erwerbstätigkeit zurückblicken können, verfügen die meisten Haushalte über zwei Renteneinkommen, so daß das Haushaltseinkommen und insbesondere auch das Prokopfeinkommen etwas überdurchschnittlich ist. Sie sind deswegen nicht "reich", aber man kann davon ausgehen, daß die Mehrzahl relativ gut situiert ist und deshalb nicht finanzielle Probleme ihre Lage bestimmen. 

Wenn diese Generation das Bild bestimmt, so heißt das nicht, daß es keine sozialen Probleme in der Mieterschaft gibt. Auch unter den Genossenschaftsmitgliedern sind einige arbeitslos - einige wenige beziehen sogar Sozialhilfe -, es gibt Alleinerziehende, die nicht nur mit finanziellen Problemen zu kämpfen haben und es gibt eine Reihe von älteren, alleinstehenden Frauen, denen nur eine sehr schmale Rente zusteht. Allerdings treten diese sozialen Probleme in weit geringerem Ausmaß auf, als in der Hansestadt insgesamt bzw. in einigen anderen Stadtteilen. 

Das Qualifikationsniveau in der Mieterschaft ist relativ hoch und es ist zu vermuten, daß viele aus der älteren Generation früher in mittleren und höheren beruflichen Positionen beschäftigt waren (sog. technische Intelligenz). Insgesamt ergibt sich das Bild einer relativ gut situierten und inzwischen ergrauten (mittleren bis unteren) Mittelschicht, welche das Leben im Stadtteil prägt. Entsprechend herrscht ein sozio-kulturelles Milieu vor, das wenig mit einem traditionellen Arbeitermilieu zu tun hat, sondern eher kleinbürgerliche Züge trägt. Man ist eher auf Distanz bedacht und pflegt einen mehr kultivierten Lebensstil, als das im traditionellen Arbeitermilieu der Fall ist. Wichtig ist der Schutz und die Pflege der Privatheit, die Umgangsformen sind formeller. Das Milieu ist relativ "geschlossen", was hauptsächlich auf den gemeinsamen Erfahrungshintergrund zurückgeht. 

Die Mehrzahl der Mieter hat als Genossenschaftler am Aufbau des Stadtteils und ihrer eigenen Wohnungen aktiv mitgewirkt. Aus einer gemeinsamen Anstrengung heraus sind die Wohnungen der WG entstanden und diese gemeinsame Erfahrung verbindet die Bewohner noch heute. 

Die gemeinsame Erfahrung, der Eigenanteil am Entstehen Reutershagens, ist nicht nur Ursache für ein spezifisches Milieu im Stadtteil, sondern führt auch zu einer besonders engen Bindung an Reutershagen. Der festgestellte enge subjektive Bezug, aber auch die hohe Zufriedenheit mit dem Stadtteil und mit der Wohnung ergibt sich nicht nur aus dem Lagevorteil Reutershagens, der Qualität der Wohnungen und dem gewachsenen Umfeld, sondern eben auch aus dem Bewußtsein, diesen Stadtteil selbst mitgestaltet zu haben. 

Bei aller Verbundenheit gibt es freilich auch Kritik am Stadtteil und an der Wohnung. In der Hauptsache wird das Fehlen bzw., wenn vorhanden, die Qualität verschiedener infrastruktureller Einrichtungen insbesondere für den Freizeitbereich moniert. Auch hinsichtlich der Einkaufsmöglichkeiten wird auf Defizite aufmerksam gemacht. Verbessert werden sollten neben der für die meisten sehr unzureichenden Parkplatzsitution vor allem die Gehwege und es sollten mehr Sitzmöglichkeiten "im Grünen" und anderswo geschaffen werden. Auch das Anlegen von Radwegen sowie eine behindertengerechte Gestaltung des Wohnumfeldes steht auf der Wunschliste. Auch eine verbesserte Anbindung an den ÖPNV wäre für viele eine wichtige Verbesserung. 

Besonders gravierende soziale Probleme werden hingegen nicht gesehen. Genannt werden die üblichen Störfaktoren einer gedeihlichen Nachbarschaft, nämlich mangelnde Ordnung und Sauberkeit sowie unnötiger Lärm. Man fühlt sich im Stadtteil relativ sicher, jedenfalls tagsüber. Nach Einsetzen der Dunkelheit hingegen wagen sich viele nicht mehr auf die Straße. Abends und nachts fühlen sich die meisten unsicher. 

Mit der Wohnung sind die meisten Mieter ebenfalls recht zufrieden. Bemängelt wird neben der Miethöhe vielfach, daß ein Balkon fehlt, daß die Küche mitunter zu klein ist und das für Familien die Grundrisse nicht bedarfsgerecht sind.
Moniert werden als Gefahrenquelle auch die alten E-Anlagen. Die durchgeführten Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen der letzten Jahre haben für die Mehrzahl der Mieter zu einer höheren Wohnzufriedenheit geführt. Die Qualität der Sanierung wird als relativ gut eingeschätzt, wenngleich auch einzelne Maßnahmen bzw. deren Durchführung auf Kritik gestoßen ist. 

Insgesamt sprechen die Befunde für eine relativ hohe Zufriedenheit der Mieter. Wobei nicht nur die als gut bewertete Arbeit der Genossenschaftsmitarbeiter eine Rolle spielt, sondern ebenso die immer noch vorhandene enge Bindung an die Genossenschaft. Die meisten stehen hinter ihrer Genossenschaft und halten es für falsch "Unstimmigkeiten in den Vordergrund zu rücken", wie es einer formulierte. Gleichwohl müssen sie Veränderungen hinsichtlich des Genossenschaftsgedankens konstatieren. Zitat: "Es ist im allgemeinen durch die ganze Urbanisierung, durch die Vermischung der verschiedensten Elemente, Bevölkerungselemente, ich würde sagen, in zunehmendem Maße schwierig, noch eine gewisse Genossenschaftlichkeit oder Gefühle, Bindung dieser alten Jahre, jetzt in diese Neuzeit zu transferieren. Das finde ich, ist weniger geworden. Das Konsumdenken ist anders geworden. Die Art der Freizeitgestaltung ist anders geworden. Und in bestimmten Bereichen, ich sage mal, der noch Werktätigen, hat sich die Arbeitseinstellung etwas geändert. Extrem mobil. Also, daß sich das mehr auf dieses Individualistische sich reduziert, als eben diesen Gemeinschaftsgedanken.” 

Es stellt sich freilich die Frage, ob das alles so bleiben wird. Zunächst denkt kaum jemand aus der älteren Generation daran, den Stadtteil zu verlassen. Wegziehen werden überwiegend Jüngere, was allerdings einem völlig normalen Wanderungsverhalten entspricht. Die sog. "demographische Welle", der durchlaufende "Berg" der dominierenden Generation im Altersaufbau des Stadtteils, bleibt damit vorläufig erhalten. Die Welle nähert sich aber allmählich ihrem Endpunkt, denn das Durchschnittsalter der über 55jährigen in der Mieterschaft beträgt 65,7 Jahre und da die allgemeine durchschnittliche Lebenserwartung etwa 77 Jahre beträgt, wird sich die "Spitze" spätestens in etwa 12 bis 15 Jahren abgebaut haben. 

Bis dahin wird die alte Aufbaugeneration noch das Bild bestimmen, allerdings auch immer mehr an Bedeutung verlieren. Die Frage ist letztlich, wer zieht in Reutershagen nach? Sind es überwiegend wieder Ältere – reproduziert sich also die gegenwärtige Altersstruktur -, oder sind es überwiegend Jüngere, entsteht also eine neue "Welle"? Anhand der Struktur der Zuzüge aus den letzten Jahren kann man den vorsichtigen Schluß ziehen, daß die Bevölkerung im Stadtteil sich allmählich wieder etwas verjüngt. Es ziehen inzwischen mit steigender Tendenz wieder mehr Familien mit Kindern sowie junge, noch kinderlose Paare in den Stadtteil. Gleichzeitig zieht der Stadtteil aber auch noch relativ viele ältere Paare an, so daß der "Berg" sich zwar deutlich abbauen, aber wahrscheinlich nicht völlig verschwinden wird. Insgesamt dürfte es in 15 bis 20 Jahren eine etwas ausgeglichenere Altersverteilung, allerdings immer noch mit Schwerpunkt bei den über 55jährigen geben, ähnlich wie im Hansaviertel oder anderen, älteren Stadtteilen Rostocks. Ob das spezifische Milieu sich aber reproduzieren wird, ist zweifelhaft. Es wird sicherlich ein "neues" Reutershagen werden, das dann evtl. neue Anforderungen setzen könnte.